Wieder ein eindrückliches Zeichen des VAM: die Musliminnen und Muslime bilden keine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat.

 

Die Aargauer Behörden haben nicht mehr und nicht weniger Anlass zu Auseinandersetzungen mit Muslimen als mit andern religiösen Gruppen. Dies erklärte Regierungsrat Kurt Wernli am 10. Mai 2006 an einer Podiumsdiskussion in Aarau.

von Hamit Duran, Turgi

Die Podiumsveranstaltung, zu welcher der Verband Aargauer Muslime (VAM) eingeladen hatte, stand unter dem Motto «Gefährden die Muslime den demokratischen Rechtsstaat in der Schweiz?» Rund 160 Personen waren der Einladung gefolgt, so dass noch zusätzliche Stühle ins Aargauer Grossratsgebäude  gebracht werden mussten. Offenbar war der ehrwürdige Parlamentsaal noch nie so voll.
In seinen einleitenden Worten hielt Regierungsrat Kurt Wernli fest, dass es in keiner heiligen Schrift eine Legitimation für nicht-demokratisches oder nicht-rechtsstaatliches Handeln und nicht-gesellschaftliche Regeln gibt. Mit der Bejahung dieser Prinzipien leiste der VAM einen wichtigen Beitrag zur Integration. Er gab auch seiner Freude Ausdruck, dass die Veranstaltung im Saal des Grossratsgebäudes stattfand, einem Ort also, an dem um rechtsstaatliche Fragen debattiert, gerungen und entschieden wird.
Hans Fahrländer von der AZ, der anschliessend durch den Abend führte, begann die Diskussion mit ein paar interessanten Fakten: Im Aargau leben rund 30’000 Musliminnen und Muslime, was einem Anteil von rund 5,5% entspricht. Davon haben rund 19’200 eine Niederlassungsbewilligung, rund 7000 haben eine Jahresaufenthaltsbewilligung, rund 1000 sind Asylsuchende und ca. 2150 sind eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer.  Auch die geschichtliche Entwicklung ist interessant: 1970 lebten ca. 1500 Muslime im Aargau, was ca. 0,3% der Bevölkerung entsprach. 1980 waren es bereits 6300, oder ca, 1,4%.

Die Rolle der Medien

PodiumFarhad Afshar, Präsident der Koordination islamischer Organisationen in Bern (Bern) und Mitglied des erst kürzlich gegründeten Rates der Religionen, zeigte Verständnis dafür, dass angesichts der doch starken Zunahme der muslimischen Bevölkerung und angesichts der verschiedenen terroristischen Anschläge sich ein gewisses Unbehagen gegenüber den hier lebenden Muslimen entwickelt hat. Die Medien, welche Ereignisse im Ausland kolportieren und direkt oder indirekt mit den hier lebenden Muslimen in Verbindung bringen, haben einen wesentlichen Beitrag zum schlechten Image der Muslime geleistet. «Aber sie [die Muslime] gehören zur Schweiz, und man sollte sie mit schweizerischen Massstäben beurteilen.»
Auch Philipp Müller, Nationalrat für die FDP, hat keine Mühe mit den 5,5% Muslimen im Aargau, obwohl er immer wieder als Warner vor allzu viel Einwanderung und allzu extensiver Multikulturalität auftritt. Auch er vertrat die Ansicht, dass das Bewusstsein für die Muslime erst durch die Ereignisse im Ausland geweckt wurde. Trotzdem beobachtet er die aktuellen Entwicklungen rund um die Muslime in Holland, Schweden und Dänemark kritisch und stellt sich die berechtigte Frage, ob dies in der Schweiz auch einmal aktuell wird.

Muslime im Aargau unter Beobachtung

Gemäss Kurt Wernli haben die Aargauer Behörden nicht mehr und nicht weniger Anlass zu Auseinandersetzungen mit Muslimen als mit andern religiösen Gruppen wie Christen oder Buddhisten. Tatsache aber sei, dass der Anteil der Ausländer in den Aargauer Strafanstalten höher ist. In Lenzburg sind es zum Beispiel rund 80 Prozent. Daraus zu schliessen, dass es sich dabei vorwiegend um Muslime handle, sei aber völlig falsch. «Mit Muslimen als Muslime haben wir im Aargau keine Probleme».
Trotzdem verheimlichte Wernli nicht, dass nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 in Amerika auch im Aargau Muslime polizeilich observiert wurden, weil Zusammenhänge bestanden hätten. Solche Bedrohungen müssten ernst genommen werden, dürften aber nicht generalisiert werden. Auch müssten die Ängste der Bevölkerung Ernst genommen werden.
Man dürfe die Augen nicht vor der Tatsache verschliessen, dass für Gruppen aus islamischen Staaten Gewalt ein Thema sei.

Grundsätze des Rechtsstaates müssen beachtet werden

Zuhoerer_1Nach Wernli ist es nicht einsehbar, weshalb Muslime grundsätzlich aus religiösen Gründen Mühe haben sollten mit dem Schweizerischen Rechtsstaat. Das Problem sei jedoch oft, dass Menschen aus islamischen Staaten mit einem andern Staatsverständnis als dem unseren in die Schweiz kommen und zum Teil erst begreifen und lernen müssen, dass die Schweizer ein anderes Staatsverständnis haben.
Farhad Afshar und Kadriye Koca-Kasan, aktives Mitglied der CVP Basel, bestätigten, dass es der Islam sogar gebiete, sich den staatlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten des Gastlandes anzupassen. Auf der anderen Seite gefährden nach Meinung von Geri Müller, Nationalrat der Grünen und Vizeammann der Stadt Baden, eher die Christen den demokratische Rechtsstaat, denn «wenn man ganz konsequent christlich leben würde, … dann kann man weder dem kommenden Asylgesetz zustimmen noch dem Ausländergesetz zustimmen.» Es gibt also auch im Christentum gewisse religiöse Überzeugungen, die im staatlichen Verständnis nicht nachvollziehbar sind. «Das Christentum ist nicht kompatibel mit dem Rechtsstaat in der Schweiz. Dasselbe gilt auch für gewisse Anwendungen im Islam.» Im Unterschied z.B. zu Holland sei das demokratische System der Schweiz im Grunde genommen dank seiner Ausgewogenheit ein ausgesprochen gutes System, das die Integration von fernen und fremden Kulturen ermögliche. Das filigrane politische System der Schweiz biete also Gewähr, dass eine kleine Gruppe wie die Muslimen keine Gefahr für die Demokratie darstelle.
Koca Kasan und Afshar wehrten sich vehement dagegen, den Islamismus gleichzusetzen mit Terrorismus. Solche Vorurteile entstünden vor allem deshalb, weil man sich gegenseitig nicht kenne. «Wir müssen mehr miteinander kommunizieren», sagte Koca Kasan. Einig waren sich beide auch darin, dass die Schweiz den Muslimen im Grunde genommen einen guten Rahmen biete, ihre Religion zu praktizieren. «Der Grad, Religion ausüben zu können und frei darüber zu bestimmen, kann in der Schweiz in vielen Bereichen höher sein, als in manchen islamischen Ländern», konstatierte Afshar.
Problematisch ist für Kurt Wernli die religiöse Ausübungsfreiheit, wenn sie mit gesellschaftlichen Regeln kollidiert. Die zentrale Frage sei dabei diejenige der Gleichstellung von Mann und Frau. Aus seiner eigenen Erfahrung weiss er, dass es Fälle gibt, wo junge muslimische Frauen nicht das Recht der freien Partnerwahl haben. Dies sei ein Beispiel für die Nichtbeachtung gesellschaftlicher Regeln. Für Kadriye Koca Kasan ist gerade dies ein Beispiel für ein Problem, das einen kulturellen und nicht einen religiösen Hintergrund hat. Dafür erntete sie spontan Applaus vom Publikum.

Angeregte Diskussion mit dem Publikum

GruppenbildIm Anschluss an das Podium entspann sich eine angeregte Diskussion zwischen Podium und Publikum. Auf die Frage, wie oft der demokratische Rechtsstaat in der Schweiz in den letzten einhundert Jahren durch die Muslime gefährdet wurde, war die Antwort klar und einfach: Nie.
Einigkeit herrschte auf dem Podium, dass das Bild von Muslimen hauptsächlich geprägt werde durch terroristische Ereignisse im Ausland. «Würde man die Schweiz isoliert betrachten, würden wir die Muslime hierzulande kaum zur Kenntnis nehmen», räumte der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller ein. Trotzdem dürfe man den Medien nicht die Schuld für alles geben.
Einig war man sich auch darin, dass, wie es Wernli ausdrückte, Konflikte wie sie in Palästina, Irak, Iran etc. ausgetragen werden, Probleme nicht lösen. Im Gegenteil, die Problem würden nur vertieft. Wir können die Welt nicht verändern. «Aber wir können dafür sorgen, dass es bei uns in der Schweiz nicht zu solchen Konflikten kommt», so Wernli weiter. Und dazu brauche es die Integration, das friedliche miteinander Zusammenleben. Auch hierfür spendete das Publikum spontan Applaus.

Aufgrund der schon weit fortgeschrittenen Zeit konnten leider nicht alle, die sich meldeten, zu Wort kommen. Im Anschluss offerierte der VAM jedoch noch einen Apéro, der Gelegenheit für weitere Gespräche und Diskussionen bot.

 

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