von Hamit Duran, Turgi

Zum zweiten Mal organisierte der Verband Aargauer Muslime (VAM) ein Wahlpodium im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen 2023. Es fand am 22. September 2023 in der Moschee der Islamischen Gemeinde der Bosniaken in Oberentfelden statt und wurde durch Hamit Duran, Mitglied des VAM-Vorstandes moderiert.

Das erste derartige Podium fand bei den letzten Wahlen im 2019 statt (siehe Bericht), und wie damals waren alle grossen Parteien im Aargau dazu eingeladen. Dieses Mal nahmen immerhin 6 Kandidatinnen und Kandidaten teil, also genau doppelt so viel wie das letzte Mal. Dafür war der Anlass mit rund 50 Personen etwas schlechter besucht.

Den Fragen des Moderators und des Publikums stellten sich dieses Mal:

  • Béa Bieber – GLP, Grossrätin, Präsidentin der GLP Fricktal, kandidiert für den Nationalrat
  • Andre Rotzetter – Mitte, Grossrat, kandidiert für den Nationalrat
  • Irène Kälin – Grüne, Nationalrätin seit 2017, kandidiert für den Ständerat
  • Therese Dietiker – EVP, Grossrätin, Co-Präsidentin der EVP Aargau, kandidiert für den Nationalrat
  • Stefan Dietrich – SP, Grossrat, Co-Präsident der SP Aargau, kandidiert für den Nationalrat
  • Gabriela Suter – SP, Nationalrätin seit 2019, kandidiert für den Ständerat

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde startete die Diskussion mit verschiedenen Fragen des Moderators zu Themen wie die Befindlichkeit der Musliminnen und Muslime in der Schweiz, ob Musliminnen und Muslime eine Gefahr oder eine Bereicherung sind und welches die grössten Bedrohungen für das friedliche Zusammenleben in dieser Gesellschaft seien. Es kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass alle Podiumsteilnehmer die Muslime als festen Bestandteil dieser Gesellschaft betrachten, dass aber Diskriminierung leider immer noch an der Tagesordnung ist. Dabei betonen die Mitte, EVP und SP in ihren Programmen Gerechtigkeit und Offenheit (Mitte), respektvolles Miteinander (EVP) und Offenheit, Toleranz und friedliches Miteinander (SP).

Natürlich werden diese Werte auch von den anderen am Podium vertretenen Parteien unterstützt. Sie legen den Fokus aber verstärkt auf eine nachhaltige und machbare Umweltpolitik (GLP) und aktive Klimaschutzpolitik verbunden mit Chancengleichheit für alle (Grüne). Insbesondere Irène Kälin, die selbst Islamwissenschaften studierte und bereits im 2015 die offizielle Anerkennung des Islam in der Schweiz forderte, machte klar, dass insbesondere Musliminnen nicht mehr diskriminiert werden dürfen.

Etwas Mühe bekundete Andre Rotzetter, als er vom Moderator auf die zwei Postulate von Parteikollegin und Nationalrätin Marianne Binder angesprochen wurde. Diese hatte im 2020 und 2022 zwei gleichlautende Vorstösse lanciert, welche das Verbot von Kopftüchern an Schulen und Kindergärten forderte. Beide Male wurde die Motion aber vom Bundesrat mit klarer Begründung abgelehnt. Im Gegensatz zu den anderen Podiumsteilnehmern konnte sich Rotzetter nicht klar und unmissverständlich von den Vorstössen seiner Parteikollegin distanzieren. Es scheint so, dass manche Politikerinnen und Politiker, bewusst oder unbewusst, Musliminnen und Muslimen unterstellen, eine geheime Agenda zu verfolgen.

Auf der anderen Seite dieses Spektrums steht, neben Kälin, Dietrich, der aufgrund seiner slawischen Abstammung und seiner sehr guten Kenntnisse des Balkans sehr viel Verständnis für die Sorgen und Ängste der Musliminnen und Muslime in der Schweiz zeige.

Zur Frage, ob religiöse Symbole wie in Frankreich in Schulen und öffentlichen Gebäuden verboten werden sollen waren sich aber wieder alle Podiumsteilnehmer einig, Nein, ein Verbot ist nicht angebracht oder nötig, zumal die Schweiz, im Gegensatz zu Frankreich, kein laizistischer Staat ist.

Das Kopftuch blieb dann auch in der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum ein Thema. So bezog sich eine Muslimin aus dem Publikum auf das Verbot der Genfer Behörden, die einer zum Islam konvertierten muslimischen Lehrerin 1996 das Tragen des Kopftuches während ihrer beruflichen Tätigkeit verbot. Das Bundesgericht bestätigte 1997 diesen Entscheid. Im Jahr 2001 erklärte dann sogar der Europäischer Menschenrechtsgerichtshof die Beschwerde der Genfer Primarschullehrerin als unzulässig. Im Gegensatz zu den anderen Podiumsteilnehmern meinte Suter dazu, dass man sich an Gesetze halten müsse, ohne klar zu sagen, was sie selbst davon hält. Dies sorgte für angeregte Diskussionen, auch nach Abschluss des eigentlichen Wahlpodiums.

Im Anschluss hatten die Podiumsteilnehmer und das Publikum bei einem von der Moschee offeriertem Imbiss die Gelegenheit, die Diskussion in ungezwungenem Rahmen fortzuführen. Dies wurde von vielen auch gerne genutzt, so dass sich so manche erst zu fortgeschrittener Stunde auf den Heimweg machten.

An dieser Stelle möchte sich der Verband Aargauer Muslime nochmals ganz herzlich bei den Podiumsteilnehmern, dem engagierten Publikum und allen, die zum Gelingen dieses Abends beigetragen haben, ganz herzlich bedanken.

Auch möchten wir alle im Kanton Aargau lebenden, wahlberechtigten Musliminnen und Muslime auffordern, ihre Rechte wahrzunehmen und sich an den bevorstehenden Wahlen durch ihre wohlüberlegte Stimmabgabe zu beteiligen, um damit ihr vitales Interesse an einer funktionierenden Demokratie und am friedlichen Zusammenleben aller Menschen in der Schweiz kund zu tun.